6
Mai
2012

ein reichlich komischer wahlabend

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Das Beste ganz am Anfang: Francois Hollande ist neuer französischer Präsident. Wenn die Linke die Parlamentswahlen im Juni gewinnt, hat die heutige Wahl das Potenzial, die Europäische Union umzukrempeln. Anstelle der radikalen Sparkurse könnte die Frankreich-Wahl der Hebel für eine Wende in der Union sein, die in Richtung Investitionspolitik geht und neoliberale Dogmen, Stichwort Austeritätspolitik und Sozialabbau, über Bord wirft. Aber das hab ich hier schon beschrieben, genug davon.

Ich bin heute auf Verdacht ins Institut Francais am zentralen Taksim-Platz gegangen in der Hoffnung, dass dort irgendwas Wahlmäßiges passiert. Und es war fast ein bißchen, wie in einem sozialistisch dominierten französischen Dörfchen. Die Wahlzellen für die AuslandsfranzösInnen in Istanbul waren in einer Galerie des Instituts, im Innenhof war schon um fünf am Nachmittag gespannte Stimmung und politisieren an allen Tischen. Um halbsieben verliest der Wahlleiter das lokale Ergebnis: 72% der knapp 2.000 WählerInnen haben Hollande gewählt. Ein paar wenige Konservative sind abgezogen, als über die Smartphones und belgische Nachrichtenportale klar war, dass Sarkozy auch daheim verlieren wird und den Elysee-Palast verlassen muss. Dann, zwei Stöcke tiefer, ein Kinosaal gepackt voll mit Menschen, auf 20 Uhr hinfiebernd, auf die offizielle Verkündung des Ergbnisses und auf die Berichterstattung von France 2 wartend.

Der rote Teppich zum Elysee wird grafisch ausgerollt, ein Bild von Hollande erscheint, darunter steht 51,8 – ohrenbetäubender Jubel rundum. Neben mir sitzen Bernadette und Jacques aus Lille, einer sozialistischen Hochburg. Sie sind 2007 für Segolene Royal gelaufen, Jacques schon mit 16 für Lionel Jospin Klinken geputzt, als der den Einzug in die zweite Runde verpasste, weil er hinter Jean Marie Le Pen zurückblieb. Darauf folgte, notgedrungen, der Wahlaufruf der SozialistInnen für Jacques Chirac in der zweiten Runde, ein Trauma für die französische Linke. Für die beiden FranzösInnen ist Hollandes Abend ein Triumph, der erste große politische Sieg, seitdem sie sich engagieren. Und zwar nicht wegen, sondern trotz Hollande – den finden sie hölzern, ein bißchen zu nachgiebig und nicht sehr charismatisch. Bernadette ist bei den sozialistischen Vorwahlen für Martine Aubry gelaufen, die sei linker und kämpferischer. Nicolas und Jean (!) sind aus Strasbourg mit dem Rad nach Istanbul gefahren, sie wollten heute den Wahlsieg Hollandes im Institut Francais feiern, sagen sie. Der Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Und Fabienne neben mir ist Zentristin, aber sie bejubelt vor allem die klaren Ansagen der SozialistInnen am Bildschirm zur Anbiederung Sarkozys an die extreme Rechte. Der habe an den Grundfesten der französischen Verfassung und der Republik gesägt, sagt sie. Neben ihr sitzt Richard, der gerade ein Erasmus-Semester in Istanbul absolviert. Der Biologe ist eigentlich Grüner, hat aber viele Stunden damit verbracht, seine französischen FreundInnen via Skype und Facebook zu überreden, am Sonntag zur Wahl zu gehen und das aus seiner Sicht geringere Übel zu wählen.

Reichlich komisch die Berichterstattung auf France 2, kaum zu glauben, dass ich den ORF mal vermisse. Da ist zwar von Rachida Dati über Segolene Royal und Laurent Fabius bis zu Manuel Valls, der als Premierminister gehandelt wird, die allererste Reihe der SpitzenpolitikerInnen vertreten, aber die Live-Einstiege sorgen nur für Lacher. Ein eigenes „Moto Sarkozy“ verfolgt wie bei der Tour de France das Auto des scheidenden Präsidenten von der Abschlussrede in den Elysee-Palast, dazu erklärt ein Live-Reporter auf dem Rücksitz des Motorrads den Weg und die Verkehrshindernisse. In Tulle, wo Hollande seine Rede hält, ist ein Reporter vor einer verschlossenen Tür, hinter der Hollande mit seinen Vertrauten anstoßt und kündigt miuntenlang an, dass der gewählte Präsident in zwei, eineinhalb, einer, nein doch fünf Minuten aus dem Raum herauskommen wird. Am Place de la Bastille interviewt ein Moderator reichlich besoffene Kinder, die den Wahlsieg feiern.

In der Rue Rivoli stört ein Reporter einen sichtlich genervten Yannick Noah, der eigentlich gerade seine Instrumente ins Auto packt, um zu seinem Konzert bei der Siegesfeier zu fahren. Der ehemalige Tennisspieler sieht aus, als wär er gerade in der ersten Runde von Roland Garros ausgeschieden. Ein anderer Außenmoderator erwischt Hollandes Sohn Thomas, als Papa ihn das erste Mal nach Bekanntwerden der Zahlen anruft (Totale auf „Papa“ und einen grünen Hörer am Screen). Dann sieht man Thomas „Salu, ca va“ und zehn Mal „Oui“ sagen und ein paar Tränen zerdrücken. Das ganze hat die Optik und Qualität eines Geiselvideos. Und dann fragt zur Krönung die Moderatorin im Studio noch Segolene Royal, die Ex-Kandididatin und Ex-Frau von Francois Hollande, wie sich ihr Ex-Mann persönlich verändert habe und was das mit seiner neuen Lebensgefährtin, der Journalistin Valerie Trierweiler zu tun habe. Neben mir jaulen Bernadette und Jacques auf.

Schließlich, Hollandes Rede. Man kann einem Anti-Obama, einem intellektuellen Bürokraten im positiven Sinn, einfach keine Obama-Rhetorik in den Mund legen. Tut man es doch, fühlt das dazu, dass die gerade noch begeisterten Linken im Istanbuler Institut Francais das Lachen kaum zurückhalten können. Aber eigentlich ist das ja das beste Resume des Wahlabends: Ein reichlich uncharismatischer, blasser Linker schlägt den rechten Showman in Zeiten der Krise und der Überpersonalisierung der Politik. Das macht nämlich auch die Mehrheit substanzieller, als sie aussehen mag.

luxus schwimmengehen

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Vor ein paar Tagen wollt ich Schiffskapitän werden. Jetzt find ich Stadtplaner total toll. Istanbul kitzelt Berufswünsche aus mir heraus, die ich bisher nie gehabt hab und denen ich nicht nachgehen werde. Warum das Ganze? Heute, eine eineinhalbstündige Fahrt ans Meer, nach Sile. Am Schwarzen Meer kann man sich im Gegensatz zum Bosporus bedenkenlos ins Meer werfen, ohne zwischen Quallen und allerlei Dreck herumtauchen zu müssen. Und auf dieser eineinhalbstündigen Fahrt hab ich gemerkt, dass diese Stadt irgendwie nie aufhört. Irgendwo müssen die 18 Millionen Menschen ja auch wohnen.

Aber was genau hat ein Mensch im ländlichen, aufgrund des Traumstrands ein bißchen touristischen Sile mit einem Menschen im zentralen, völlig überlaufenden Beyoglu oder in Kadiköy zu tun? Die leben beide in Istanbul aber ihre Kinder werden nicht in die gleiche Schule gehen, sie leben in völlig unterschiedlichen Regionen mit völlig unterschiedlichen Bedürfnissen und unter unterschiedlichen Umständen, baulich, verkehrstechnisch, nahversorgungsmäßig, soziokulturell.

Das unterscheidet Istanbul natürlich nicht von kleineren Großstädten. Aber soziale Mobilität, die gerade die Zentren der Welt für sich in Anspruch nehmen, setzt physische Mobilität voraus. Die ist bei den hiesigen Entfernungen zeit- und kostspielig. Jetzt ist es für MitteleuropäerInnen natürlich leicht, in Istanbul herumzukommen, finanziell tut das alles nicht wirklich weh. Aber die 25 Lira (11 Euro), die die Fahrt mit verschiedenen Verkehrsmitteln da raus zum Schwarzen Meer heute gekostet hat, sind für eine vierköpfige Familie ein gutes Zehntel des Durchschnittseinkommens in der Türkei. Da ist dann im Schwarzen Meer schwimmen schon eine ziemliche Luxusveranstaltung.

Heißt auch: In Istanbul leben zig Millionen Menschen zwar am Meer, können aber – außer, wenn sie sich dem Bosporus oder dem Marmarameer aussetzen wollen, in dem man hier eigentlich nicht planschen sollte – nicht leistbar ins kühle Nass, das sie umgibt, wie kaum eine andere Großstadt der Welt. Ein Fall für die Stadtplanung, für die Sozialpolitik und für die Verkehrspolitik. Drei Felder, in denen ich mich (noch) nicht auskenn. Aber als zukünftiger Großstadt-Bewohner gelobe: Ich les mich ein. Wie Menschen von A nach B kommen halt ich nämlich spätestens seit heute für eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit.

10
Mrz
2012

essen. essen. essen.

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Der Vorsatz, Weihnachts- und Winterspeck loszuwerden, war ja mutig. Immerhin hab ich, als immernoch fiebriger Bronchitis-Leidender eine Ausrede, warum das mit dem Training momentan gar nicht geht. Danach wird’s, durch ärztliches Rauchverbot, auch nicht leichter auf der Waage. Wenn da wenigstens schlechtes Essen wär, so wie in England oder in Schweden. Aber leider, schlechtes Essen ist mir hier nicht vergönnt.

Das liegt zu einem guten Teil daran, dass Istanbul seit Jahrhunderten ein Rückzugsort für alle möglichen Minderheiten aus Europa und vom Balkan war. Die konnten unter den Sultanen besser leben, als unter den heimischen Despoten. Und haben selbstverständlich auch ihre Küche mitgebracht und hier gelassen. Diese enorme Vielfalt, die sich vor allem im schicken Cihangir an jeder Ecke zeigt, ist in Kombination mit den Unmengen frischen Fischs, die die TürkInnen aus dem Marmara-Meer holen, unwiderstehlich.

Und dann gibt’s da noch was, was ich bisher noch in keiner Großstadt gesehen hab. „Yemeksepeti“ (in etwa: „Essenskorb“) ist eine Plattform für Essenslieferenten, auf der sich praktischerweise 8.500 Lokale tummeln, bei denen man per Mausklick binnen 20 Minuten jedes erdenkliche Essen vor die Haustür (nein, sogar vor die Wohnungstür) geliefert bekommt. Die Nervosität meiner Mitbewohner 19 Minuten nach der letzten Bestellung hab ich erst danach verstanden. Kommen die nämlich zu spät, zahlst du nichts. Darauf hoff ich jetzt grad. Nach einem Monat darf's nämlich wieder einmal ein Schnitzel sein. Vom Wienerwald, nämlich.

8
Mrz
2012

einen monatslohn in einer stunde liegenlassen

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Also Schüttelfrost, mein Kopf fühlt sich an, wie 57 Grad, zittrige Knie. Ich schlepp mich heim, leg mich ins Bett, friere mit Jacke bei 25 Grad Zimmertemperatur, mein Schädel hämmert. Da stimmt irgendwas nicht. Mein Mitbewohner sagt, ich muss ins Krankenhaus, ich sehe schrecklich aus. Er will in ein Öffenliches, das kriegen wir schon irgendwie hin dort, auch wenn man da sicher eine Zeit lang warten muss. Ich weiger mich, will in ein Privates. Wir landen im Alman Hastanesi, dem „deutschen“ Krankenhaus, das längst einer internationalen Stiftung gehört.

Ich komm nach 10 Minuten dran, 39 Fieber, werd mit dem Rollstuhl von einem Mann, den ich eigentlich im Rollstuhl schieben sollt, durchs halbe Krankenhaus zum Röntgen geschoben. Bluttest, dann wieder Fiebermessen. Otuz dokuz dört, 39,4, sagt die Krankenpflegerin. Soviel türkisch versteh ich auch im Delirium noch. Zwei Infusionen in einem schicken Krankenzimmer später konstatiert der Arzt eine schwere Bronchitis, verschreibt mir Antibiotika, bietet mir noch an, ich könne auch über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. Ich sage dankend ab.

Und dann, am Weg raus, sagt mein Mitbewohner Esat, der mir nicht von der Seite gewichen ist. „Du hast da drin grad einen durchschnittlichen türkischen Monatslohn liegen lassen.“ Er hat Recht. Mit Medikamenten hat der Spaß 650 Lira gekostet, knapp unterm Mindestlohn in der Türkei. Warum ich das erzähl? Weil's mir meine privilegierte Situation vor Augen geführt hat. Und ein paar LeserInnen vielleicht auch die Ihre.

26
Feb
2012

sonntagsspaziermarsch

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Also auf, mal die Stadtviertel erkunden, die auf den touristischen Stadtplänen nicht drauf sind, hab ich mir gedacht. Auf nach Hasköy, nach Kasimpasa und in den Norden von Sisli, dort, wo die echten TürkInnen wohnen. In zwei Stunden wollt ich wieder zurück daheim sein, damit mir Esat seinen Mercedes („who the fuck would not drive a German car, if he can“) und Asien zeigen kann. Von wegen.

Ich hab mir jede noch so kleine Moschee angeschaut, bin einen gefühlten Kilometer um ein gesperrtes Marine-Gelände mit Foto-Verbot herumspaziert, hab türkischen Familien beim Sonntagsnachmittagsgrillen zugeschaut (gegen das Hafengelände von Hasköy ist der Kranebitter Spielplatz eine Ruhezone) und bin in einer Teestube mit meiner fremdsprachigen Zeitung etwas schräg angeschaut worden. Ich war in einem Eislaufzelt, das der Stadtteilbürgermeister von Beyoglu „cocuklar icin“, also für die Kinder, aufstellen hat lassen. Ich hab mich ungefähr 17 Mal verlaufen, einem U18-Fußballspiel eine halbe Stunde zugeschaut und bin ebensolang einer Stadtautobahn entlangspaziert. Illegalerweise, wie mir der Tankstellenwart, den ich schließlich nach dem Weg zurück nach Beyoglu fragen musste, versichert hat. Aber das nimmt hier niemand so genau.

Am Schluss des Spaziermarsches stehen 6 gewonnene Stunden des mich in einer Stadt Verlierens zu Buche. Ich hab vergeblich versucht, am Stadtplan nachzuvollziehen, wo ich genau entlanggegangen bin. Aber darum geht’s ja auch nicht. Die schiere, unfassbare Größe Istanbuls ist mir bewusster geworden. Hier leben 14-16 Millionen Menschen, zwei Mal Österreich auf der Fläche des Burgenlands. Ich dürfte heute ungefähr ein Drittel von Beyoglu, von einem Fünfzehntel der Stadt abgegangen sein. Und überall dichteste Bauweise, viele hunderte Menschen auf den Straßen und in den Parks – und das bei 8 Grad. Und, auch eine Erfahrung: Englisch geht da, wo keine TourstInnen mehr sind, überhaupt nicht. Aber dafür zaubert jedes zögerliche türkische Wort, mit dem ich mich verständlich zu machen versuche, ein Lächeln auf die Lippen der Ladenbesitzer und Passantinnen.

Schließlich, zurück auf der Istiklal Caddesi, der überfüllten Spazierstraße mitten in Beyoglu. Da ziehen singende Galatasaray-Fans durch die Straßen, die sich auf das Heimspiel heute abend freuen. Und 50.000 grimmige Nationalisten in komischen Uniformen erinnern am Taksim-Platz lautstark an das Massaker von Khojaly im Jahr 1992. Es ist eine Machtdemonstration der Rechten gegen Armenien. Zwei Polizeipanzer stehen in der Istiklal, einer schützt die griechische Botschaft, einer das Institut francais. Das ist dann eher die triste Realität in diesem Land.

23
Feb
2012

öffistanbul

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Jaja, jetzt ist's dann eh genug mit den blöden Wortspielen. Aber das musste jetzt doch noch sein. Ich hab einige FreundInnen, die sich für Stadtplanung interessieren und dafür, wie sich Menschen in einer Stadt fortbewegen. Istanbul hat das besten und das schlechteste, was ich je an öffentlichem Fortbewegungsmittel gesehen hab. Und dazwischen noch einiges mehr.

Pessimist, der ich bin, fang ich mit dem Negativen an. Dienstag, 16 Uhr 50. Ich steig am Taksim Platz in einen Bus, der mich laut Fahrplan binnen 30 Minuten ins 6 Kilometer entfernte Bebek bringen soll (und ja: der Stadtteil heißt „Baby“). 30 Minuten für 6 Kilometer, fand ich an sich schon mal heiß. Nicht mehr ganz so heiß fand ich dann, dass ich schließlich nach 85 Minuten in Bebek ankam. Stoßstange an Stoßstange, Meter für Meter, schoben sich Busse, Privatautos und unendlich viele gelbe Taxis durch die Straßen. Die IstanbulerInnen nehmen sogar das gelassen. Aber da war kein erkennbarer Grund, kein Unfall, keine Umleitung, einfach Rush hour. Das hat mich natürlich wieder unfassbar genervt, dass ich nicht verstand, wo das Problem lag. So gut bin ich noch nicht im Hinnehmen. Verkehrstechnisch kann das aber nur Überlastung sein. Mehr Straßen kann man in dieser extrem dicht bebauten und besiedelten Stadt nicht mehr bauen. Es kann also nur mit weniger Individualverkehr gehen.

Wenn nur alle mit der Fähre fahren könnten. Ich hätt ja am liebsten 3 Minuten zu Fuß von der Arbeit nach Hause. Aber wenn ich mir ein Öffi aussuchen müsst, dann wärs die Fähre. Einen gemütlichen Cay um 80 Euro-Cent am Bord einer der (sagen die Leute hier) nie überfüllten Fähren, die sanft übers Meer gleitet, fast keine Geräusche macht, an keiner Ampel stehen bleiben muss und 70 Cent pro Fahrt kostet? Nur Fliegen ist schöner. Und das wär dann im täglichen innerstädtischen Verkehr doch etwas übertrieben.

Bleiben – und das werden die Öffi-ExpertInnen vermutlich bestätigen – die Taxis als ganz schwieriges Thema. Die sind nämlich den effizienteren Öffis im Weg, sind die allerwildesten und den ganzen durchgeknallten AutofahrerInnen hier und noch dazu spottbillig. Ich hab heute für knapp 15 Minuten Taxifahrt nicht einmal 3 Euro gezahlt. Da ist nichts mit Kostenwahrheit, das ist auch für TürkInnen billig. Andererseits wären da noch die Menschen – sehr Alte, Gehbehinderte und viele mehr, die vielleicht sogar angewiesen sind auf ein Individualgefährt von Haustür zu Haustür. Dilemma, Dilemma.

Das Gute ist: Ich muss diese Dilematta nicht lösen. Ich such mir morgen ein neues Reiseziel irgendwo in dieser Riesen-Stadt. Was dort ist, ist nicht so wichtig. Aber übers Wasser muss es gehen: Der Weg ist das Ziel.

18
Feb
2012

die neue langsamkeit

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Eeeeees daaaaaauert aalllllles sooooo laaaange hiiiiiier. Bis ich das auf den Blog hochgeladen hab, werden Stunden vergangen sein. In der Zeit, die der Mann vor mir heute in der Buchhandlung gebraucht hat, um zwei DVDs zu bezahlen und einen kleinen Tratsch mit der Verkäuferin hinter sich zu bringen, hätt ich meinen halben Reiseführer lesen können. Das Auschecken im Hotel hat heute eine viertel Stunde gedauert (da war ich aber der Erste in der Reihe). Bis die für 22 Uhr angekündigte wunderbare Band gestern in diesem wunderbaren Klub mit dem wunderbaren Namen „Bronx“ gespielt hat, war's halbeins. Die Istiklal Street, das „hektische Zentrum der Bosporus-Metropole“ (sagt mein Reiseführer), ist eine gemütliche Flaniermeile. Die 24/7-Friseure am Tarlabasi-Boulevad sollen hier deswegen 24/7-Friseure sein, weil man unter einer Stunde keinen Haarschnitt kriegt. Und die Bosporusfähre, die „gleich“ losfahren wollte, hat erst mal 35 Minuten gewartet.

Und was machen die IstanbulerInnen? Sie holen sich gemütlich ein Buch raus, chatten in der Warteschlange mit ihren iPads, machen die Augen zu und träumen vor sich hin oder reißen Witze mit anderen Wartenden. Während ich anfange, Nägel zu beißen, mir um drei am Nachmittag die 18te Zigarette anzünde und mit bösen Blicken zu verstehen geben will, dass mir diese Warterei auf den Keks geht, scheint diese Langsamkeit hier niemanden zu stören.
Und damit ist Istanbul geenau das richtige Ziel für mich. Da ist die Wahnsinns-Atmosphäre, die Städte am Meer nun mal haben, da ist die Faszination, die schon das wenig orientalische Trend-Viertel Beyoglu mit seinen unzähligen Seitengassen und den noch unzähligeren kleinen Geschäften, in denen es alle mögliche und unmögliche Artikel zu kaufen gibt, mit sich bringt. Ganz zu Schweigen von dieser ästhetisch bildhaften Sprache, die richtig zu lernen ich längst aufgegeben habe.

Die neue Langsamkeit ist ein angenehmer Kontrapunkt zur Echtzeit-Kommunikation auf vier verschiedenen Kanälen, die es einem verlernt, in Ruhe in einem Buch zu versinken, einen ganzen langen Wikipedia-Artikel am Stück zu lesen oder einfach einmal verträumt eine halbe Stunde am Sofa zu liegen. Das könnte ich hier, im ruhigen noch nicht gentrifizierten Tarlabasi nördlich des Zentrums von Beyoglu eigentlich ganz gut. Und da hilft mir auch meine Mitbewohnerin, die verhindert, dass Ertu, Esat und ich ein reiner Männerhaushalt sind. Cilek liegt nämlich den ganzen Tag herum und genießt das Leben. Ich würd zwar nicht Erdbeere heißen wollen und bei zwei Anläufen 18 Kinder auf die Welt gebracht haben. Aber auch von Katzen kann man, glaub ich, Einiges lernen.

Und jetzt muss ich mich langsam auf den Weg machen. Wer weiß, welche Hindernisse sich bis zum Mando-Diao-Konzert auftun. 9 Stunden vergehen hier schneller, aaaaaaaaaals maaaaaaaaaaan deeeeeeeeenkt.

14
Jan
2012

gastarbeiter

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Türkiye'ye hos geldiniz (Willkommen in der Türkei): In einem Monat darf ich endlich auch machen, was scheinbar alle jungen EuropäerInnen gemacht haben müssen. Schluss mit den unglaubwürdigen Blicken bei "Nein, ich war nicht auf Erasmus" und "Nein, ich hab noch nicht außerhalb von Österreich gelebt." Finally.

Das erste Lernen gibt's freilich schon vor der Abreise. Um nicht völlig unvorbereitet in die notorischen Sprachkurse zu gehen, hab ich versucht, mir basales Türkisch beizubringen. Und es ist wirklich unvorstellbar, wie hilflos man sich in einer Sprache verlieren kann, zu der man außer ein paar wahllosen Schimpfwörtern und ein bißchen "Merhaba" (Guten Tag) keinen Zugang hat - die so anders ist, wie das romanische Zeugs, das wir in der Schule gelernt haben. Soll mir noch einmal eine/r erzählen, die "Ausländer" in Österreich müssten doch in einem halben Jahr ordentlich deutsch sprechen lernen. Diesen Neunmalklugen kann ich nur türkisch empfehlen.

Und eine zweite Erkenntnis: Wenn die Türkei auch nur halb so stereotyp ist, wie in meinen Lernbüchern beschrieben, werd ich da keine 5 Monate bleiben. Aber ich hab eigentlich ziemlich viel Vertrauen, dass der Tipp, man möge sich keine Diskussionen mit türkischen Männern anfangen, weil es sonst sein könnte, dass man am nächsten Tag nicht mehr aufwacht, mehr Rassismus als Realität ist. Das ist auch eine der Aufgaben dieses Blogs: Kontakt halten, keine langen Massenmails schreiben müssen und ein paar Dinge in ein anderes Licht rücken. Ungefähr so, wie das meine Freundin Lore bei ihrem Argentinien-Aufenthalt vor vier Jahren gemacht hat.

Ich werd in Istanbul als Gastarbeiter sein, "kültür diyalog" ist nicht nur das Motto meines Aufenthalts, sondern auch mein Arbeitgeber dort. Und ja, immernoch: Wenn jemand ein 35 Quadratmeter-Zimmer Downtown Beyoglu mit Dachterrasse in einer tollen internationalen Studi-WG um 250 Euro kennt - her mit der enformasyon.

Iyi geceler (Gute Nacht)!
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