26
Feb
2012

sonntagsspaziermarsch

IMG_4619

Also auf, mal die Stadtviertel erkunden, die auf den touristischen Stadtplänen nicht drauf sind, hab ich mir gedacht. Auf nach Hasköy, nach Kasimpasa und in den Norden von Sisli, dort, wo die echten TürkInnen wohnen. In zwei Stunden wollt ich wieder zurück daheim sein, damit mir Esat seinen Mercedes („who the fuck would not drive a German car, if he can“) und Asien zeigen kann. Von wegen.

Ich hab mir jede noch so kleine Moschee angeschaut, bin einen gefühlten Kilometer um ein gesperrtes Marine-Gelände mit Foto-Verbot herumspaziert, hab türkischen Familien beim Sonntagsnachmittagsgrillen zugeschaut (gegen das Hafengelände von Hasköy ist der Kranebitter Spielplatz eine Ruhezone) und bin in einer Teestube mit meiner fremdsprachigen Zeitung etwas schräg angeschaut worden. Ich war in einem Eislaufzelt, das der Stadtteilbürgermeister von Beyoglu „cocuklar icin“, also für die Kinder, aufstellen hat lassen. Ich hab mich ungefähr 17 Mal verlaufen, einem U18-Fußballspiel eine halbe Stunde zugeschaut und bin ebensolang einer Stadtautobahn entlangspaziert. Illegalerweise, wie mir der Tankstellenwart, den ich schließlich nach dem Weg zurück nach Beyoglu fragen musste, versichert hat. Aber das nimmt hier niemand so genau.

Am Schluss des Spaziermarsches stehen 6 gewonnene Stunden des mich in einer Stadt Verlierens zu Buche. Ich hab vergeblich versucht, am Stadtplan nachzuvollziehen, wo ich genau entlanggegangen bin. Aber darum geht’s ja auch nicht. Die schiere, unfassbare Größe Istanbuls ist mir bewusster geworden. Hier leben 14-16 Millionen Menschen, zwei Mal Österreich auf der Fläche des Burgenlands. Ich dürfte heute ungefähr ein Drittel von Beyoglu, von einem Fünfzehntel der Stadt abgegangen sein. Und überall dichteste Bauweise, viele hunderte Menschen auf den Straßen und in den Parks – und das bei 8 Grad. Und, auch eine Erfahrung: Englisch geht da, wo keine TourstInnen mehr sind, überhaupt nicht. Aber dafür zaubert jedes zögerliche türkische Wort, mit dem ich mich verständlich zu machen versuche, ein Lächeln auf die Lippen der Ladenbesitzer und Passantinnen.

Schließlich, zurück auf der Istiklal Caddesi, der überfüllten Spazierstraße mitten in Beyoglu. Da ziehen singende Galatasaray-Fans durch die Straßen, die sich auf das Heimspiel heute abend freuen. Und 50.000 grimmige Nationalisten in komischen Uniformen erinnern am Taksim-Platz lautstark an das Massaker von Khojaly im Jahr 1992. Es ist eine Machtdemonstration der Rechten gegen Armenien. Zwei Polizeipanzer stehen in der Istiklal, einer schützt die griechische Botschaft, einer das Institut francais. Das ist dann eher die triste Realität in diesem Land.
logo

hallo istanbul

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

ein reichlich komischer...
Das Beste ganz am Anfang: Francois Hollande ist neuer...
pablodiabolo - 6. Mai, 23:38
luxus schwimmengehen
Vor ein paar Tagen wollt ich Schiffskapitän werden....
pablodiabolo - 6. Mai, 01:28
essen. essen. essen.
Der Vorsatz, Weihnachts- und Winterspeck loszuwerden,...
pablodiabolo - 10. Mär, 19:09
einen monatslohn in einer...
Also Schüttelfrost, mein Kopf fühlt sich an, wie...
pablodiabolo - 8. Mär, 15:32
sonntagsspaziermarsch
Also auf, mal die Stadtviertel erkunden, die auf...
pablodiabolo - 26. Feb, 17:25

Links

Suche

 

Status

Online seit 4496 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Mai, 01:31

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren